"Halbjuden" - Lager in Hünfeld
"OT - Lager für jüdisch versippte Personen"
Gegen Ende des Krieges sollte in Hünfeld eine Munitionsfabrik entstehen. Das geplante Rüstungsprojekt war eine spezielle Baumaßnahme der NS - "Organisation Todt" (OT), unter deren Federführung kriegswichtige Gebäude, Straßen und Brücken - gegen Kriegsende auch unter Einsatz von Zwangsarbeitern - errichtet wurden. Die geplante Munitionsfabrik sollte am Nordende der Stadt auf dem Gebiet der heutigen Wella Manufacturing GmbH erbaut werden. Zu diesem Zweck richtete man ein OT-Lager ein, das der örtlichen "Arbeitsgemeinschaft der Bauunternehmer" unterstellt wurde.
Bei den "dienstverpflichteten" Männern handelte es sich um so genannte "jüdisch versippte Personen" oder "Halbjuden" (Nazisprache), die mit Hacke und Schippe Gräben ausheben und andere Tiefbauarbeiten ausführen mussten. Als Unterkunft "dienten zwei Räume eines neu errichteten Anbaues an der ehemaligen Lateinschule, der ursprünglich für Schulklassen gedacht war. Das Gebäude war nicht eingezäunt. Auch war keine Bewachung der Personen vorhanden."
Da es sich fast ausnahmslos um Menschen handelte, die solch schwere körperliche Arbeit aufgrund völlig anderer Berufe nicht gewohnt waren, muss diese Lagerzeit für sie sehr hart gewesen sein. Doch glücklicherweise waren die Zustände nicht vergleichbar mit einem Konzentrationslager, denn es gab weder Stacheldraht noch KZ-Wärter. Zwar gab es strenge Vorschriften, doch die Menschen durften in ihrer Freizeit das Lager auch verlassen und "sich im Stadtgebiet ungehindert aufhalten". Außerdem wurden sie ausreichend ernährt: "Gemeinschaftsverpflegung bereiteten sich die Dienstverpflichteten in besonderen Kesseln im Schlachthaus des Metzgermeisters Adolf Dempt hierselbst zu."
Das Lager bestand praktisch bis zum Einmarsch der Amerikaner zu Ostern, am 1. und 2. April 1945.
Erinnerungen von Therese Winter geb. Jüngst - Juli 2011
Zeitzeugin Therese Winter geb. Jüngst wurde 1929 als Tochter des Bauunternehmers Hermann Jüngst in Hünfeld geboren. Sie erinnert sich recht gut an das Lager, da sie dort als Dienstverpflichtete in der Verwaltung beschäftigt war.
Therese besuchte damals in Fulda die Maria Waard Mädchenschule (die "Englischen Fräuleins") und zwar den Handelsschulzweig. Nach dem verheerenden Bombenangriff im Herbst 1944 auf Fulda und die Schließung der Schule wurden alle Mädchen dienstverpflichtet und zur Arbeit in die Munitionsfabrik geschickt. Therese wies die NS-Behörde aufgrund ihrer Gehbehinderung infolge von Kinderlähmung eine Arbeit im Büro zu und zwar in Hünfeld in dem neu errichteten OT - Zwangsarbeitslager für "Halbjuden". Die 15-Jährige sollte dort die Buchhaltung übernehmen.
Frau Winter erzählt:
"Und zwar wurde eine Baugesellschaft gegründet (der Organisation Todt unterstellt), und so wie ich mich noch erinnere waren die Bauunternehmer Röhr von Großentaft, Konrad Schäfer von Hünfeld, Josef Bodesheim und mein Vater Hermann Jüngst dabei. Die haben das hier geführt und jede Woche kam die Kontrolle von Kassel von der Organisation Todt. Einer kam jede Woche und schaute, wie weit die Entwicklung auf dem Bau war und kontrollierte, ob der Bau weiterging und ob die Leute anständig arbeiteten. Die "Halbjuden" mussten Gräben ausheben, dann wurden da Fundamente gebaut. Ich habe nicht mehr genau die Zahlen im Kopf, aber es waren bestimmt etwa 200 Leute von Nordrhein-Westfalen und so 150 von Berlin - nur Männer, die der Organisation Todt unterstellt waren.
Eine Munitionsfabrik sollte hier gebaut werden und zwar dort neben der Molkerei, da in dem Gebiet wo die Wella ist. Und da haben die das Fundament gemacht und schon ein Stück Mauer. Bis zum Ende
des Krieges war natürlich nur ein Teil der Mauer zu sehen. Es war aber ein großes Gebäude, und es wurde alles mit Schaufeln und so gearbeitet. Die mussten schwere Arbeit leisten.
Das Lager war speziell für "Halbjuden"- ab Herbst 1944 bis Kriegsende."
Weitere Details zu dem Lager in:
Quellen:
Frau Therese Winter sowie Stadtarchiv Hünfeld