Rosas Geschichte

Rosa und Ludwig

Rosa (geb. am 7. Juli 1904), die nach Buchenauer Erinnerungen ein schönes Mädchen war, lebte als die jüngste Tochter von Nathan und Henriette Rosenstock am längsten im elterlichen Haus.  Als unverheiratete "Haustochter" war sie später in Münster /Westfalen beschäftigt, wo 1925 in der Universitätsklinik ihr Sohn Hans geboren wurde. Sie sei dann in Frankfurt "in Stellung", d.h. in einem Haushalt tätig  gewesen, daher wuchs Hänschen bei den Großeltern in Buchenau auf.

Am 30. Juli 1932 heiratete Rosa in Darmstadt Ludwig Hansel, einen christlichen Staatsbeamten (geb. am 12. Juli 1906 in Helpershain Krs. Schotten), der seit 1922 in Darmstadt ansässig war.

Rosas Ehe mit einem nichtjüdischen Mann war für die streng religiös lebende Familie zunächst ein gewisses Problem – ähnlich inakzeptabel wie es gemischt konfessionelle Ehen auch bei Katholiken und Protestanten waren. So wurde über Rosas Leben in den Geschwister-Familien wenig gesprochen, zumal sie als einzige nach dem Tod der Eltern fernab in Deutschland lebte und der Weltkrieg dann die Kontakte zusätzlich erschwerte. Den Übertritt zur evangelischen Kirche muss Rosa ihrem Ludwig zuliebe getan haben, der anscheinend kirchlich recht engagiert war. Vielleicht versprach man sich davon aber auch einen Schutz gegenüber der 1933 einsetzenden Judenhetze. Dennoch blieb Rosa dem Judentum zeit ihres Lebens eng verbunden, was von ihrem Mann verständnisvoll mitgetragen wurde. Das kam besonders darin zum Ausdruck, dass außer den christlichen auch die jüdischen Feiertage in ihrem Hause gebührend begangen wurden.

Dass Rosa nun evangelisch war, bot ihr zu Beginn der NS-Verfolgungszeit vielleicht wirklich einen gewissen Schutz, später jedoch nicht mehr. Denn nach der Definition der rassistischen Nazi-Gesetze "zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" ("Nürnberger Gesetze") vom 15. September 1935 war sie Jüdin. Daher blieb ihr schließlich auch das Konzentrationslager nicht erspart.

 

Ludwig Hansel (links) mit Walter Strauß, einem entfernten Verwandten von Rosa - Ort der Aufnahme ist unbekannt.
Ludwig Hansel (links) mit Walter Strauß, einem entfernten Verwandten von Rosa - Ort der Aufnahme ist unbekannt.

Wie Rosa und Ludwig diese gefahrvolle Zeit trotzdem überlebt haben, kann nur bruchstückhaft aus Briefen, Dokumenten und einigen Recherchen rekonstruiert werden:

Da seit dem Erlass der "Nürnberger Gesetze" Eheschließungen zwischen Juden und "Ariern" verboten waren, befand sich das Ehepaar Hansel gewissermaßen in einer illegitimen Beziehung, d.h. der nichtjüdische Partner war "jüdisch versippt" (Nazi-Sprachregelung) und wurde zur Scheidung gedrängt. Wer dem jüdischen Ehepartner die Treue hielt lebte sehr gefährlich, was Ludwig Hansel noch bitter zu spüren bekommen sollte. Der häufige Wohnungswechsel in Darmstadt zwischen 1933 und 1944 könnte ein Hinweis auf immer wieder sich einstellende Gefahren und Bedrohungen sein.

Als Ludwig Hansel 1932 seine Rose -so nennt er sie in Briefen- heiratete, war er offenbar schon im Staatsdienst tätig. Eine Trennung von seiner jüdischen Frau, wie es die Nazis von den Staatsbeamten verlangten, kam für ihn nicht in Frage, was schlimme Folgen für ihn hatte: Er wurde nämlich aus dem Staatsdienst geworfen. In welchem Jahr dies geschah, geht aus den verwendeten Unterlagen nicht hervor, auch nicht, wovon Ludwig und Rosa weiterhin ihren Lebensunterhalt bestritten.

Der Rauswurf aus dem Staatsdienst hat den Nazis offenbar noch nicht genügt, auf Ludwig kamen mit dem Krieg noch härtere Strafen zu.

Nachdem er als „jüdisch versippter“, entlassener Staatsbeamter für wehrunwürdig befunden war, steckte man ihn in eine Strafkompanie, die später der Organisation Todt zugeteilt wurde. Hier musste er bis Kriegsende schuften – bis schließlich die Amerikaner kamen und Ludwig seine Befreiung ganz nahe glaubte. Doch er sah sich getäuscht:


„Ich kam aus dem Zwangsarbeitslager in amerikanische Gefangenschaft. Ich trug den Wehrpass mit dem Wehrunwürdigkeitsvermerk bei mir. Es ist dem Amerikaner nicht eingefallen, mich daraufhin zu entlassen. Er übergab mich den Franzosen, und da ich einen Arbeitsanzug der Organisation Tod trug, der wir als Strafkompanie zugeteilt waren, und dieser Anzug das Nazibraun trug, wurde ich von Franzosen geschlagen. Ich war dann drei Jahre lang in französischer Gefangenschaft, habe dabei auch sehr gute Franzosen kennengelernt, aber geholfen hat mir keiner.“ Und weiter drückt er seine Enttäuschung über die Siegermächte gegenüber seiner Schwägerin Else aus: „Und der Amerikaner? Wer hat die ersten Wiedergutmachungsgesetze erlassen! Heute nach acht Jahren bin ich noch nicht dafür entschädigt, dass ich im Nazireich aus dem Staatsdienst herausgeworfen wurde!“

Rosa war von Darmstadt nach Helpershain (Geburtsort von Ludwig) gezogen, wo sie gemäß ihren Angaben von 1946 auf dem Darmstädter Meldeamt in den Jahren 1944 bis 1948 polizeilich gemeldet war. Anzunehmen ist, dass sie bei den Verwandten ihres Mannes Zuflucht suchte und fand.

Eine erneute Recherche im November 2021 ergab, dass sie ab 28. Dezember 1944  in Helpershain lebte, bis sie am 12. Februar 1945 von der Polizei verhaftet und "abgeholt" wurde. Von Frankfurt am Main wurde sie  dann am 14. Februar 1945 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie bis zum 15. Juli (!) blieb. (1)

Dass sie eine Lagerhaft erlitten hat, geht auch aus einem notariellen Schriftsatz von 1956 im Rahmen der "Wiedergutmachung" hervor, in dem es heißt:

Meldekarte Theresienstadt Ghetto (2)
Meldekarte Theresienstadt Ghetto (2)

"Frau Rosa Hansel ist die Ehefrau des Regierungsinspektors Ludwig Hansel in Darmstadt. Frau Hansel hat durch ihren Aufenthalt im KZ einen schweren Leberschaden davongetragen. Sie ist 45 % erwerbsbeschränkt, muss ständig den Arzt in Anspruch nehmen und muss immer wieder das Krankenhaus aufsuchen. ..."

 

Rosa und Ludwig hatten während des Krieges eine lebensbedrohliche Zeit durchge-standen, und sicher war es für sie im Nachkriegs-Deutschland ebenfalls nicht leicht, ein neues Leben aufzubauen. Auch war Rosa die Rolle zugefallen, sich um die  sog. "Wiedergutmachung" zu kümmern, da sie als einziges Mitglied ihrer jüdischen Rosenstock-Familie in Deutschland lebte. Im Zusammenhang damit soll sie einige Male in Buchenau gewesen sein. Nach dem Ende des Krieges und ihrer Befreiung aus dem KZ hatten sich auch die Beziehungen zu Rosas Geschwistern in Israel wieder normalisiert, wozu nicht wenig Ludwigs tadellose und mutige Haltung beigetragen haben dürfte.

Rosa (3.v.re) während einer Kur in Bad Mergentheim 1962 (Bild Privatbesitz Böttcher-Krause)
Rosa (3.v.re) während einer Kur in Bad Mergentheim 1962 (Bild Privatbesitz Böttcher-Krause)

Nachdem Ludwig Hansel 1948 aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, zog man wieder nach Darmstadt und zwar in die Bessungerstraße 48, später in die Annastraße 12. Beruflich konnte Ludwig offenbar wieder im Staatsdienst Fuß fassen und in Darmstadt durch weitere Examina zum Regierungsinspektor aufsteigen. 1962 zogen Ludwig und Rosa nach Weilburg, wo sie gemeinsam bis 1980 wohnten. Rosa muss am Ende sehr krank und pflegebedürftig gewesen sein, denn sie verbrachte ihre letzte Lebenszeit in einem Altenheim in Wetzlar und zwar vom 1. August 1980 bis zu ihrem Tod am 19. April 1982. Nicht zu klären war, ob sich auch Ludwig dort aufhielt oder ob er allein in Weilburg zurück blieb. Sehr lang hat er ein Leben ohne seine Rose jedenfalls nicht mehr durchgehalten. So folgte er ihr zwei Jahre später in die ewige Ruhe und

IN GOTTES HAND.

 

Grabstätte von Rosa und Ludwig Hansel auf dem christlichen Friedhof in Wetzlar im September 2003.  (Foto: E. Sternberg-Siebert)
Grabstätte von Rosa und Ludwig Hansel auf dem christlichen Friedhof in Wetzlar im September 2003. (Foto: E. Sternberg-Siebert)

Anmerkungen:

  1. HStAD, H 3 Darmstadt, 24068
  2. Arolsen Archives /Online Archiv, Sign.11422001