Die jüdischen Gemeinden im Altkreis Hünfeld

Rhina


Blick auf Rhina um 1950 (Foto: Neuber, S. 382)
Blick auf Rhina um 1950 (Foto: Neuber, S. 382)

Die erste nachgewiesene Erwähnung eines Juden in Rhina stammt vom 21. Februar 1631. Eine feste Ansiedelung von Juden unter dem Schutz der Adeligen von Wehrda und der übrigen »Ritterschaft" wird aber erst für die Zeit nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) vermutet, zumal die Dörfer in der Region durch die Kämpfe und durchziehenden Heere fast völlig zerstört waren. Die Gebietsherren nahmen nach den großen Menschenverlusten des Krieges gern Juden in ihr Gebiet auf, waren sie doch besonders einträgliche Steuerzahler. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Rhina zur zahlenmäßig bedeutendsten jüdischen Gemeinde im Altkreis Hünfeld - 1830 nur noch übertroffen von Mansbach. Wenige Jahre nach 1854 bis kurz vor 1910 betrug der jüdische Bevölkerungsanteil sogar über 50 Prozent: 1854 waren von 625 Einwohnern 304, 1895 von 569 Einwohnern 298, 1902 waren von 563 Einwohnern 332 Personen Juden. Im Jahr 1910 sank der jüdische Bevölkerungsanteil wieder knapp unter 50 %, nur noch 269 von 554 Bewohnern waren Juden. Wahrscheinlich kehrte sich das Zahlenverhältnis in den Folgejahren aber wieder um, denn Paul Arnsberg gibt für den Endpunkt der jüdischen Bevölkerungsmehrheit das Jahr 1923 an. 1930 zählte die jüdische Gemeinde 184 Seelen und stellte damit immerhin noch ein Drittel der Gesamtbevölkerung dar.

Die meisten Juden in Rhina be­trieben Vieh  und Fellhandel, Hausierhandel (Textilien und Manufaktur­waren), auch etwas Landwirtschaft. Gegen 1900 entstanden neben dem Handel im Umherziehen auch zunehmend feste Ladengeschäfte, z.B. ein Schuhgeschäft mit Werkstatt, eine jüdische Metzgerei, eine Bäckerei, Kolonialwarenhandlungen. Außerdem gab es zwei Gastwirtschaften, die von allen Rhinaern besucht wurden. Um 1900 war Selig Levi der Vizebürgermeister des Dorfes, auch der Feuerwehrhauptmann war bis zum Jahr 1914 ein Jude.

Bis in die NS-Zeit bestand unter der Leitung von Max Blumenthal der jüdische Sportklub »Bar Kochba«, der vor 1933 mehr als 30 junge aktive Mitglieder zählte. Die häufigsten Familiennamen am 1. Okt. 1935 waren: Katz, Katzenstein, Nußbaum, Klebe, Oppenheim.

Ihr 250-jähriges Bestehen feierte die jüdische Gemeinde Rhina 1932, demnach bestand dort seit 1682 eine selbständige Gemeinde. Vermutlich waren die Anfänge aber nicht durchgängig stabil, denn Verstorbene aus Rhina sind auf dem zur fraglichen Zeit zuständigen Zentralfriedhof in Burghaun erst ab 1772 begraben.

Grabstätten auf dem jüdischen Friedhof in Rhina
Grabstätten auf dem jüdischen Friedhof in Rhina

Im Jahr 1837 legte die Synagogen-gemeinde Rhina einen eigenen 3896 qm umfassenden Begräbnisplatz an. Er befindet sich außerhalb des Ortes Richtung Rothenkirchen und ist direkt an der Bahnlinie gelegen. Zuletzt wurde dort im Dezember 1938 der im Alter von 80 Jahren verstorbene Josef David Katz-Kuhn begraben.

Im Jahr 1782 war aus einem alten Schäferhaus die Synagoge entstanden, die aber im Lauf der Jahre der wachsenden Gemeinde nicht mehr genügend Raum bot. Statt eines 1829 geplanten Neubaus kam es aber nur zu einer Erweiterung des vorhandenen Gotteshauses, das 1834 festlich eingeweiht wurde. Im Erdgeschoss des Gebäudes befand sich auch das Ritualbad. Synagogenältester war damals Samuel Victor. 1855 wurde nochmals ein Synagogenneubau beschlossen, der aber offenbar nicht zustande kam.

1862 wurde die bisherige Religionsschule in eine öffentliche jüdi­sche Elementarschule umgewandelt, deren erster Lehrer Isaak Emmerich war. Die Schülerzahl schwankte in den Jahren 1867 bis 1903 zwischen 66-75-65 Kindern. Danach sank die Zahl der Schulkinder kontinuierlich ab.

Von 1835 bis 1863 amtierte offenbar (ersichtlich aus dem Trauregister der Synagogengemeinde) als Leiter und Religionslehrer Emanuel Fauerbach (*1800). Nach ihm kam der schon genannte Isaak Emmerich. Wie lange dieser dort tätig war, ist unklar. Ab 1902/1903 leitete Abraham Sonn aus Theilheim die Judenschule von Rhina. Sein Nachfolger wurde 1919 Siegfried Oppenheim, der bis zu seinem Wechsel im Sommer 1938 an die Bezirksschule in Bad Nauheim den Schulunterricht erteilte. Wurde die Schule 1934 noch von 22 Schülern besucht, gab es 1939 nur noch 2 schulpflichtige Kinder.

Synagoge, Schule und Lehrerwohnung in den 1930er Jahren.(Foto: Neuber, S. 267)
Synagoge, Schule und Lehrerwohnung in den 1930er Jahren.(Foto: Neuber, S. 267)

Nachdem im Verlauf des Novemberpogroms am 10. Nov. 1938 die Synagoge mit Betraum, Schulsaal und Lehrerwohnung niedergebrannt wurde, konnte der Unterricht dort nicht mehr stattfinden. Die wenigen noch anwesenden Kinder wurden von Berthold Katz, dem letzten in Rhina tätigen Lehrer, bis einschließlich Februar 1939 im Haus des Joseph Pfif­ferling unterrichtet.

Die endgültige Auflösung der Schule hatte das Ministerium zum 1. März. 1939 angeordnet. Die Eltern erhielten die Erlaubnis zur Privatbeschulung ihrer Kinder in Burghaun, wo Lehrer Adler noch einige Kinder in ihren Familien unterrichtete. Die Kinder nach Burghaun zu schicken erübrigte sich aber, da wenige Tage später die noch verbliebenen jüdischen Familien Rhina verließen. Lehrer Katz übersiedelte nach Frankfurt am Main und emigrierte von dort in die USA. Der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde war Isaak Pfif­ferling.

Bis Ende März 1939 hatten alle jüdischen Bewohner ihr Heimatdorf Rhina verlassen. Zahlreiche Juden von Rhina konnten sich rechtzeitig in die USA in Sicherheit bringen, etliche von den jüngeren Leuten sind nach Palästina ausgewandert. Die übrigen zogen in andere Orte Deutschlands insbesondere zuletzt nach Frankfurt am Main. Hier hofften sie, bei Verwandten und in der Anonymität der Großstatt aushalten zu können, hier gab es noch ein jüdisches Gemeindeleben sowie Schulunterricht für die Kinder und Ausbildungsmöglichkeiten für die Jugend. Doch diejenigen, die in Deutschland geblieben waren, wurden von ihren Zufluchtsorten deportiert. Mindestens 49 von ihnen kamen in den Ghettos und Todeslagern der Nazis ums Leben.

Im Jahr 1988 errichtete die Gemeinde Rhina auf dem jüdischen Friedhof einen Gedenkstein, der folgende Inschrift trägt:

 

Zum Gedenken an die Juden von Rhina, die im Laufe der Verfolgung durch die Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 vertrieben wurden oder umgekommen sind.

Als herausragende Persönlichkeit aus Rhina ist der Maler JAKOB NUSSBAUM zu nennen, geboren am 8. 1. 1873 in Rhina. Jakob Nussbaum lebte und wirkte lange Zeit in Frankfurt am Main. Nach seiner Auswanderung lebte er in Kinereth/ Palästina, er starb am 19. 12. 1936 in Tiberias. Vier von ihm geschaffene Porträts befanden sich im Historischen Museum in Frankfurt, doch sie sind den Bom­benangriffen im März 1944 zum Opfer gefallen.

Jakob Nußbaum - Selbstbildnis
Jakob Nußbaum - Selbstbildnis

Im Januar 2009 erwarb die Gemeinde Rhina auf Initiative des Heimatvereins und mit finanzieller Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung und weiterer Geldgeber ein Selbstbildnis Jakob Nussbaums aus dem Jahr 1922. Das Ölgemälde wird demnächst im Dorfgemeinschaftshaus zu sehen sein. Damit wurde ein dauerhafter Zugang zum Werk und eine gebührende Würdigung des berühmten Sohnes von Rhina geschaffen.

 

 

 

Weitere verwendete Quellen:

- Harald Neuber: Rhina im Spiegel seiner christlich-jüdischen Vergangenheit

- Selbstbildnis Jakob Nussbaum in: Hassia Judaica - Jakob Nussbaum

- Friedhof-Fotos: E. Sternberg-Siebert