Familie Wolf Plaut

"Zwei Häuser weiter in der Hohenwehrdaerstraße Nr. 13 wohnte die Familie Wolf Plaut. Früher war es die Hausnummer 53. Der heutige Eigentümer ist Gerhard Diehl. Das Haus wurde von seinen Eltern Karl Diehl und Ehefrau Anna, geborene Sauer, im Jahre 1936 von der Judengemeinde gekauft. Es war das Gemeindehaus der Judengemeinde. Karl Diehl ist im letzten Krieg gefallen. Ich kann mich noch erinnern, es war ein Schild angebracht:

 

Manufakturwaren von Wolf Plaut III

 

In diesem Haus haben wir oben im großen Flur gespielt. Oben wohnte die Familie Kauffunger zur Miete. Sohn Hans war zwei Jahre jünger als ich und hatte immer schöne Spielsachen. Wenn die Tanten zu Besuch kamen, brachten sie immer kleine Pferdchen und kleine Wägen mit zum Spielen.

Unten im Haus wohnte die Judenfamilie Plaut. Der Sohn Erich kam immer hoch zum Mitspielen. Er war nur drei Tage jünger als ich, am 8. Februar 1920 geboren.

Hünfelder Kreisblatt vom 15. Dezember 1928
Hünfelder Kreisblatt vom 15. Dezember 1928

Von 1926 bis 1933 saßen wir zusammen in einer Schulbank. Als Hitler an die Macht kam, musste er nach Rhina in die israelitische Schule gehen.

Wir hatten in der Schule ein Kasperletheater gebaut. Wir saßen auf einem kleinen Bänkchen und hatten die selbst gebastelten Puppen an den Händen. Wir spielten "Kasper als Wettermacher", "Kasper als Wunderdoktor" und noch andere Stücke. Erich war der Kasper und ich seine Frau das Kasperlinchen. Er hat immer zu schnell gesprochen, da wurde er von unserem Lehrer aufgefordert langsam zu sprechen. Dafür war er im Kopfrechnen sehr gut. Wenn wir in der ersten Stunde Religion hatten, durfte Erich eine Stunde später kommen, er hatte nachmittags manchmal beim Judenlehrer Oppenheim aus Rhina Religionsunterricht. Im Jahre 1932 machten wir eine Schulwanderung zum Herzberg, Erich war auch mitgewandert. Hatten wir im Saal bei der Gastwirtschaft Lotz eine Weihnachtsfeier und haben Theater gespielt, hat Erich immer mitgespielt. Ich habe ihn noch auf einem Foto von damals.

Weihnachtsfeier 1931 in Wehrda - Erich Plaut: Oberste Reihe 1. von links Katharina: Unterste Reihe Mitte mit langem weißem Schlips
Weihnachtsfeier 1931 in Wehrda - Erich Plaut: Oberste Reihe 1. von links Katharina: Unterste Reihe Mitte mit langem weißem Schlips
Beschriftung von Katharina Maul auf der Rückeite des Fotos
Beschriftung von Katharina Maul auf der Rückeite des Fotos

Foto: Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Hans Helmut Maul, Schlotzau


Gleich am Anfang der Hitlerzeit hatten auf einem Foto acht Mädchen aus der Klasse schon weiße Blusen an und schwarze Schartücher um den Hals mit einem Lederknoten und einem dunkelblauen Rock dazu, wie es die Jungmädel trugen, bevor man im Bund Deutscher Mädchen (BDM) aufgenommen wurde. Wir waren aber noch nicht angemeldet. Es waren auch schon vier Jungen dabei in Uniform. Sie trugen schon Braunhemden, schwarze Hosen und lederne Schulterriemen mit einem breiten Gürtel. Sie wurden Pimpfe genannt und kamen erst in das Jungvolk, bevor sie in die Hitlerjugend (HJ) durften. Erich hatte eine große Schildmütze auf dem Kopf. Er war immer zurückhaltend, es wird ihm manchmal nicht recht gewesen sein mit der plötzlichen Veränderung.

Als Erich 1934 aus der Schule kam, lernte er in Bebra das Polsterer  und Sattlerhandwerk. Wenn er vor Schabbes am Freitag heim kam, ging er immer auf Umwegen von der Bahn in Neukirchen über Rhina an der Klebsmühle vorbei durch den Hasenküppel, dann den Mühlweg heimwärts. Wir waren oft auf den Feldern dort und haben gearbeitet, aber man hat sich nicht mehr getraut, mit ihm zu reden. Wurde man von einem Nazimitglied gesehen, wäre man verraten und bestraft worden. Davor hatte man Angst.

Erichs Vater Wolf Plaut fuhr mit dem Fahrrad und einem Bündel mit Stoffen, in einem Wachstuch verpackt, über Land in die Dörfer und verkaufte seine Ware. In Schlotzau, wo ich heute wohne, wurde er der Montagsjude genannt, weil er jeden Montag kam. In Wehrda wurde seine Familie "Wölfjes" genannt. Zuletzt durften sie nicht mehr handeln.

 

Im Jahre 1939 brachte dann der Herr Hüfner von Burghaun, der sich einen kleinen Fuhrbetrieb mit Autos und Anhängern aufgebaut hatte, eine Kiste. Darin wäre der verstorbene Wolf Plaut. Jeder war damals im Zweifel, ob er wirklich in dem Sarg lag, denn er durfte nicht geöffnet werden. Auf dem Judenfriedhof in Wehrda wurde er beerdigt. 3)

Aber einen Grabstein hat er nicht mehr bekommen. Wir hatten neben dem Friedhof einen Acker, da hätten wir das gesehen. Kurz danach verließen die Angehörigen -Frau Sara, Sohn Erich und sein Bruder Siegbert- Wehrda und flüchteten in die USA."

 

In seinem Bericht „Meine Erlebnisse im Konzentrationslager“ schrieb der Rhinaer Lehrer Siegfried Oppenheim:

".... Krankenbesuche machte ich mehrmals bei Herrn Wolf Plaut IV aus Wehrda, Kreis Hünfeld. Als ich zuletzt bei ihm war, bat er mich wiederholt: 'Gib mir Wasser'. Aber die strenge Aufsicht erlaubte es nicht. Plaut zeigte schon vor seiner Einlieferung in die Waschküche Spuren von Irrsinn, fraglos eine Folge der furchtbaren Aufregungen. Am Tage nach meinem letzten Besuch sah ich am anderen Morgen, wie seine Leiche vorüber getragen wurde. Seine Frau ließ die Leiche per Auto abholen und in Wehrda beisetzen. Der verschlossene Sarg durfte nicht geöffnet werden..."

Die genannte Waschküche diente als primitivster Krankenraum, in dem die Kranken auf Holzpritschen ohne Decke lagen. 4)  


Es gibt auf dem jüdischen Friedhof in Wehrda eine letzte Grabstätte, die im Unterschied zu allen anderen Gräbern mit einer flachen Steinplatte versiegelt ist. Trotz der  stark beschädigten (?!) aufgesetzten Buchstaben ist deutlich zu erkennen, wer dort begraben ist, nämlich: Wolf (Benjamin) Plaut geb. 17. 11. 1877 in Wehrda. Er starb am 11. Dezember 1938 im KZ Buchenwald. 5)

 

"Im Jahre 2000 war ich achtzig Jahre alt und wollte mich einmal nach meinem Schulkameraden Erich Plaut erkundigen, weil schon so viele Schulkameraden gestorben oder im letzten Krieg gefallen waren. Durch das Internet gab mir jemand eine Adresse von Erich Plaut. Ich schrieb natürlich einen Brief:

"Mein Lieber Schulkamerad Erich ...... "

Nach vier Wochen sagte meine Enkelschwiegertochter: "Oma, du hast Post aus Amerika bekommen." Ich habe mich richtig darüber gefreut, doch als ich den Brief las, war ich enttäuscht. "Liebe Kathi", stand da, "ich bin leider nicht dein Schulkamerad Erich. Ich heiße auch Erich Plaut und bin im Jahre 1922 in Elberfeld bei Wuppertal geboren. Aber weil ich schon vier Namensvettern kenne, werden wir auch deinen Erich noch finden."

Ein Doktor Erich Plaut hat eine Schwägerin, Evelin, die Ahnenforschung betreibt. Durch sie erhielt ich Angaben über die Wehrdaer Plauts, welche ich gesucht habe:

Eltern von Wolf Plaut: Simon Plaut, geb. am 13. Januar 1847 in Wehrda und Malchen Plaut, geb. am 13. Januar 1849 ebenfalls in Wehrda.

Wolf Plaut, geb. im November 1877, verheiratet mit Sara geb. Marx - Kinder:

Bella Plaut, geb. am 11. Juli 1908, verheiratet mit Richard Lustig in Afrika - Sohn Steven

Trude Plaut, geb. am 27. August 1912 in Wehrda, verheiratet mit Bill Rosenberg in Californien - Tochter Laurice, geb. am 13. April 1944

Erich Plaut - mein Schulkamerad-, geb. am 8. Februar 1920 in Wehrda, flüchtete 1939 nach New York, dort heiratete er 1950 Clara Bamberger, geb. 1923 in Heidelberg - Tochter Nancy Sara, geb. am 9. November 1955. Sie war einmal in Wehrda und wollte das Grab ihres Großvaters Wolf Plaut auf dem Friedhof besuchen. Sie hat es aber leider nicht gefunden.

Siegbert, geb. am 23. April 1928, hatte eine Gehbehinderung, nach Sydney ausgewandert.

 

Mein Schulkamerad Erich ist leider im Jahr 2003 in Florida gestorben und ich konnte ihm nicht mehr schreiben. Der "neue" Erich schickte meinen Brief in Englisch übersetzt an seine Witwe und Tochter. Er hatte sie auch mal angerufen. Die Witwe Plaut sagte, sie waren einmal in Wehrda, da hätte der Erich nach mir gefragt. Das war im Haus gegenüber von Gretchen Adolph. Ich habe aber nichts von ihnen gehört.

Gretchen ist die Schwiegermutter von meiner Tochter Gisela. Sie hat mir einmal von ihrer Mutter -Frau Hochhaus- erzählt, die über fünfzig Jahre als Hebamme im Dorf arbeitete. Wenn die Mutter über Nacht bei den Geburten dabei war und morgens noch nicht zu Hause war, ging sie mit ihrer älteren Schwester Thea zu Wölfjes Oma, zur alten Male. Die hat ihnen dann die Zöpfe geflochten, damit sie rechtzeitig in die Schule kamen. Als Wölfjes im Jahre 1939 nach Amerika ausgewandert sind, wurde vom Bürgermeister Gerlach die Ware aus ihrem Geschäft verkauft. Meine Mutter kaufte damals die Babywäsche für mich. Im August 1939 wurde meine Tochter Gisela geboren. Es waren gute Wäschestücke."

 

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Familie Wolf und Sara Plaut
Aufgeschrieben im Jahr 2007 von Katharina Maul, bearbeitet und ergänzt von Elisabeth Sternberg-Siebert
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