Jüdisches Leben im Hünfelder Land - Juden in Burghaun

Buchbesprechung von Abraham Frank im

 

MITTEILUNGSBLATT DES IRGUN OLEI

MERKAS EUROPA

 

Tel Aviv im Februar 2002


 

Die Erinnerungsarbeit an die untergegangene Judenheit Deutschlands geht weiter, 60 Jahre nach der "Endlösung" wird eine immer wieder von neuem erstaunliche Zahl von Gedenkbüchern und Monographien über hunderte großstädtische, kleinstädtische und dörfliche Judengemeinden veröffentlicht. Oft wird die bange Frage gestellt: Welchen Sinn hat es, diese Bücher herauszugeben? Die Holocaustopfer können durch den Abdruck ihrer Biographien und Fotos, durch die Beschreibung ihrer Leidenswege nicht wieder zum Leben erweckt werden! Auf diese und mannigfaltige ähnlich gehaltene skeptische Kommentare kann man logisch nur eine Antwort geben: Erinnerung an geschehenes Unrecht ist menschliche Pflicht. Unsere Vergangenheit dem endgültigen Vergessen preiszugeben würde zudem der unseligen nationalsozialistischen Verfolgung und Ausrottung post factum zu einem quasi Sieg verhelfen.

Das vorliegende Buch ist ein eklatanter Beweis für die Richtigkeit der zitierten Gegenargumente, insbesondere wenn wir uns vor Augen halten, dass nur durch eine solche "Alltagsgeschichte" der heutigen Generation junger Deutscher vermittelt werden kann, wie tief die verfolgte jüdische Minderheit im Lauf von Generationen in ihrer - und deren früheren Heimat - verwurzelt war und auf welche unverzeihlich grauenhafte Art und Weise sie mit Stumpf und Stiel vernichtet wurde.

Burghaun, ein Ort in der Nähe Fuldas in Hessen, ist in diesem Zu­sammenhang beispielhaft für die über 400 jüdischen Gemeinden, die vor 1933 in dieser Provinz seit Jahrhunderten existierten. Im Hünfelder Land gab es seit dem 14. Jahrhundert größere jüdische Niederlassungen, im Nachbarort Rhina zählte der jüdische Bevölkerungsanteil bis 1923 über 50 Prozent.

Auf 287 reich bebilderten Seiten schildert die Verfasserin auf leb­hafte Art Einzelschicksale zahlreicher Familien und Personen der ehemaligen jüdischen Gemeinde, ihre kulturelle, wirtschaftliche und religiöse Beschaffenheit, dankenswerterweise durch das emsi­ge Zusammentragen von Erinnerungen Überlebender und deren Nachkommen (von denen viele in Israel leben), aber auch von in einfachem, bäuerlichen Deutsch, oft gar im Dialekt wiedergege­benen Kindheits- und Jugenderinnerungen heute betagter christlicher Ortsbewohner, die sich an ihre früheren Nachbarn erinnern, ihre Eigenheiten schildern und immer wieder das trotz unter­schwelligem Antisemitismus (von den Landjuden "Risches = Rischut genannt) gute und enge Zusammenleben beschreiben. Aber auch an zugegebenen Bekenntnissen des Wegsehens bei den Deportationen in Viehwagen, des sich Bereicherns an geraubtem jüdischen Haushaltsgut der Vertriebenen, an unmenschlichen Ausschreitungen gegen Körper und Seelen unschuldiger, wehrloser Mitmenschen fehlt es nicht.

Die Wichtigkeit des Buches für die anfangs erwähnte Gedenkarbeit sei durch den Abschluss des Vorworts der Verfasserin hervor­gehoben:

"Die Juden, die einst hier lebten und ihre Heimat genauso liebten wie wir, haben schwer unter der Verfolgung in den 30er Jahren gelitten, und manche der Überlebenden leiden noch heute. Niemand kann das Geschehene ungeschehen machen. Aber wir können uns als Menschen erinnern und lernen. ... Ich wünsche mir - gerade angesichts erschreckender Aktivitäten von Fremdenhass und Anti­semitismus hierzulande -, dass die Beschreibung ihrer langen Ge­schichte und ihrer Verfolgung dazu beiträgt, dass mehr Wissen über die Vergangenheit zu größerer Toleranz in der Gegenwart und Zukunft führen möge - wegen des "Nie wieder".

Möge dieses wertvolle Gedenkbuch weiteste Verbreitung finden.  

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